30 Jahre #lokaljournalismus und kein Ende

So empfinde ich meinen Beruf jeden Tag aufs Neue!

Die besten Lokaljournalist_innen machen ihren Job mit Ernsthaftigkeit, Liebe und Faszination für Bescheuertes“

Das Zitat stammt aus einem Artikel der Ruhrbarone und ist für mich eine der besten Beschreibungen des Berufs eines Lokaljournalisten. Ob das immer so war? Ich kann es nur für die vergangenen drei Jahrzehnte beurteilen, und ja, auf diese Zeit trifft es unbedingt zu. Mit diesem Tag (1. September 2021) stelle ich diesem Beruf 30 Jahre lang (eigentlich noch ein wenig mehr) meine Kraft, meinen Verstand und mein Herz beinahe täglich zur Verfügung.

Immer unterwegs – zu Lande…

Gelegentlich treibt er mich zur Verzweiflung, oft bringt er mich zum Lachen, meistens macht er Spaß. Was nicht so Freude macht, ist die Tatsache, dass immer weniger Leute lesen oder wenigstens mitbekommen, was wir Lokaljournalisten an Neuigkeiten und Geschichten wir für sie recherchieren, und nur die wenigsten haben eine Vorstellung davon, was für ein Aufwand das ist.

„Ach, du musst am Wochenende arbeiten?“ – Das verwundert viele Menschen, aber natürlich: Du willst doch am Montag eine Zeitung lesen? Nur die ganz Grausamen sagen einem auf diese Replik, dass in der Montagausgabe ja doch nur Artikel über Fußball in der Kreisklasse und über Feuerwehrversammlungen stehen. Das war vielleicht mal so, aber das muss vor mehr als 30 Jahren gewesen sein.

Schon als Volontärin bei der Ostfriesen-Zeitung bekam ich 1991 eingetrichtert: Keine Pressemitteilung, keine Einsendung kommt unbearbeitet ins Blatt. Behördendeutsch galt es auszumerzen, ob es nun ein Schrieb aus dem Kreishaus, von Politikern oder die Polizeimeldungen waren. Was man nicht verstand, musste nachgefragt werden, damit es verständlicher formuliert werden konnte. Wenn du nicht weiter weißt, frag einen Kollegen, hieß es.

Damals tippte man freilich alles von Papier ab: Die Mitteilungen kamen mit der Post oder, damals der ultimative Fortschritt, per Fax. Es gab den Schreibpool, ein Zimmer voller Frauen mit einem Aufpasser (einer von denen wurde Monsterbacke genannt), die Texte in den Computer abschrieben und dabei heimlich Sekt tranken oder Weinbrandpralinen verspeisten. Aber in diesen Pool gingen nur die längeren Manuskripte von den freien Mitarbeitern, mit allem anderen schlugen Redakteure sich selbst herum.

Ich will mal behaupten: Es ging genauso schnell wie heute, wo man sich mit Strg-C, Strg-V aus Mails oder dem Internet den Text zusammenklaubt. Beim Tippen merkte man schneller, ob man da gerade Murks übernahm, als bei Drag and Drop. Was auf keinen Fall heißen soll, dass früher alles besser war – nur anders.

„Erfahrung ist nicht alles. Man kann auch 30 Jahre lang alles falsch machen.“

… zu Wasser

Dieses Zitat stammt meines Wissens nach von Mark Twain. Für mich möchte ich mal behaupten, dass ich 30 Jahre lang Vieles hätte besser machen können. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich meist alles richtig gemacht habe. Von den Fehlern mal abgesehen. Zu denen stehe ich, die passieren einfach. Aber recherchieren, rausfahren und mit Leuten reden, objektiv bleiben und sich die abstrusesten Dinge gelassen anhören, das ist die Arbeit des Lokaljournalisten, und sie wird es bleiben. Ganz egal, auf welchem Kanal unsere Texte und Bilder in Zukunft die Menschen erreichen.

Natürlich habe ich immer wieder gelesen und von wechselnden Chefredakteuren gehört, was den Lokaljournalismus besser macht: 1) Wir brauchen eine bessere Planung! 2) Wir machen keinen Terminjournalismus mehr! 3) Wir setzen die Themen, die die Menschen lesen wollen! Erstaunlich, dass dieses Rezept nach 30 Jahren immer noch als neue Erkenntnis verkauft werden kann. An der Erfüllung arbeiten wir nach wie vor, doch wir kommen näher.

…. und in der Luft

Wobei Forderung 3) am schwierigsten umzusetzen ist. Die Corona-Pandemie hat uns kalt erwischt, aber sie hat den Lokalzeitungen gleichzeitig eine neue Wertschätzung gebracht. Plötzlich entdeckten Leute unsere Online-Seiten, die vorher nicht mal wussten, dass es sie gibt. Nirgends sonst fanden sie so vollständig, verständlich und tagesaktuell, ob die Kinder in die Schule müssen, ob Restaurants geöffnet oder dicht sind und welche Form von Maske die Menschen beim Einkaufen tragen müssen. Da war sie wieder, die alte Vorgabe: Keine Zeile wird unbearbeitet veröffentlicht, und Behördendeutsch wird verständlich gemacht. Aktueller als jemals zuvor.

Aber was kommt jetzt? Woher wollen wir wissen, was die Menschen nach Corona lesen und vor allem: bezahlen wollen? Werden wir das aus Klickzahlen herausorakeln können? Wenigstens hat nicht nur die Bekanntheit der Lokalzeitungen wieder zugenommen, sondern auch unsere Glaubwürdigkeit und Wertschätzung. Deshalb wird es uns noch in Zukunft geben. Vielleicht, aber das ist eine Vermutung von mir, sollten wir dem Sinn für Bescheuertes mehr Raum geben. Ansonsten halte ich es mit Theodor W. Adorno:

„Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“


In loser Folge werde ich den September 2021, in meinem 30. Jahr bei der Ostfriesen-Zeitung, hier immer wieder etwas zum Thema Lokaljournalismus bringen: Ernsthaftes, Liebenswertes und Bescheuertes. Versprochen!

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